Eugen Gomringer

Wahrheit und Freiheit in Linie und Objekt

 

Katalogtext zur Ausstellung "Anne Sterzbach und Christian Faul", Galerie Defet, Nürnberg, 1999

 

Anne Sterzbach kann weder auf die Linie noch auf das Objekt festgelegt werden - sie lässt sich überhaupt nicht festlegen: weder auf eine Nachfolge so mancher Zeichner der Gegenwart oder auf bekannte Künstler-Denker in Objekten, noch technisch auf die eine oder andere Art des Herstellens. Nur, dass sie zeichnet und feine Denk-Objekte macht, ist eine Zugehörigkeit. Man kann sagen: wer so wie sie zeichnet und feine Konstellationen im kleinen Raum macht, ist existent.

Man hat die Linie immer wieder in Kategorien eingeteilt, von der expressiven bis zur technischen Linie, von der verspielten und träumerischen bis zur drohenden und aggressiven. Ausser der technischen Linie und der drohenden Linie sind im jungen Werk von Anne Sterzbach bereits sehr unterschiedliche "Typen", besser: Handhabungen dieses Urelements festzustellen, besser: zu erleben. Anne Sterzbach zeigt von Blatt zu Blatt eine andere, neue Gebärde. Sie zeichnet, wenn ein inneres Wahrheitsmoment sich freimachen muss. Das scheint ein Prozess der Verschmelzung von Ordnung und Sich-darstellen zu sein. Ordnung strebt nicht - in ihrem Fall - von einem Rand zum anderen, sondern bündelt sich in der Mitte, organisiert sich kernförmig, hält sich an etwas fest, ist genau. Es gibt schöne Zeugnisse für dieses Verhalten.

Mehr erzählerischer Art sind die Zeichnungen, die ausgreifen und deutlich beginnen und enden. Sie erzählen das Senkrechte und das Waagrechte und das Schräge und das Gerade und das Runde. Zeichnungen sind aber immer auch Profile im Raum. Ein Innenraum verschmilzt das zu Sagende zu einer Linie im Aussenraum, in ein zweidimensionales Gebilde, wo nur noch Flächenraum ist. Dass dieses vereinfachte, abstrahierte Gebilde von irgend etwas dennoch seine Herkunft offenbart, dies ist ein Vorgang, der in der Kunst von Anne Sterzbach ökonomisch mit wenigen Strichen festgehalten wird. Ihre Kunst ist eine Bereicherung der Zeichnung, das heisst auch der Liniensprache. Sie setzt persönliche Zeichen der subjektiven Wahrheitserforschung. Deshalb ist ihre Zeichnung auch nicht festzulegen - ebenso wenig wie die Objekte aus Metall, Baumwolle und Gips. Im Unterschied zu den freischwebenden Strichen, die ja zum Beispiel etwas Vagierendes haben können, sind die Objekte stofflich gebunden. Das Lineare, das Profilierende, ist aber im Objekt ein führendes Prinzip, ja man erwägt, ob sich konsistentes Stoffliches nicht gerade in der Funktion des Gegensatzes findet, wie bei den Akrobaten, wo der Bodenhaftende das Spiel in der Luft, im Raum ermöglicht, dem das besondere Augenmerk gilt. Objekte und Zeichnungen sind deshalb - vorläufig möchte man ahnungsvoll sagen - nicht zu trennen, das heisst sie ergänzen sich, bilden eine Familie mit unterschiedlichen Talenten, aber in allen Akten dienen sie der einen Einsicht und Existenz.

Der auf Anne Sterzbachs Kunst eintretende Beobachter wird aussergewöhnlich sensibilisiert in einer Sprache, die sich nur behelfsmässig der Alltagssprache bedienen muss, sonst aber dürfte nur Poesie sich an diesen Gebilden versuchen.

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